Skip to main content

Bundesverwaltungsgericht kippt Berliner Vorkaufsrechtspraxis

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einem am 9. November 2021 gefällten Grundsatzurteil (Az.: 4 C 1.20) die Vorkaufsrechtspraxis des Landes Berlin in sozialen Erhaltungsgebieten für rechtswidrig erklärt. Nach der Entscheidung der Leipziger Richter, von der bisher nur die Leitsätze vorliegen, darf das Vorkaufsrecht für Grundstücke in solchen sog. Milieuschutzgebieten nicht auf Grundlage der bloßen Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer in Zukunft gegen die Ziele des Milieuschutzgebietes verstoßende Nutzungsabsichten verfolgen werde. Die Berliner Bezirke hatten mit dieser Begründung in den vergangenen Jahren in zahlreichen Fällen Vorkaufsrechte ausgeübt. Dieser Praxis hat sich das BVerwG nun entgegen gestellt. Die Entscheidung ist rechtskräftig und kann nicht mehr durch Rechtsmittel angefochten werden.
 
Geklagt hatte eine Immobiliengesellschaft, die ein in einem Milieuschutzgebiet im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gelegenes Grundstück erworben hatte. Das Grundstück ist mit einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 bebaut, in dem sich 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten befinden. Das Bezirksamt übte das Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus. Damit wollte es der Gefahr begegnen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung aus dem Gebiet verdrängt wird, wenn im Anschluss an die Veräußerung Wohnungen aufgewertet oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollten oder die Mieten erhöht würden.
 
Das BVerwG ist diesem Ansatz – anders als in den Vorinstanzen das Verwaltungsgericht Berlin (Urt. v. 17.5.2018 – 13 K 724.17) und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urt. v. 22.10.2019 – 10 B 9.18) – nicht gefolgt und hat die Ausübung des Vorkaufsrechts für rechtswidrig erklärt. Eine Ausübung des Vorkaufsrechts war nach Ansicht des BVerwG durch § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB ausgeschlossen. Danach ist die Vorkaufsrechtsausübung ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel aufweist. Diese Voraussetzungen waren nach Ansicht der Richter erfüllt. § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB stelle nach seinem Wortlaut eindeutig auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht ab. Die vom Bezirksamt und den Vorinstanzen angestellte Prüfung, ob zukünftig mit erhaltungswidrigen Nutzungen zu rechnen sei, scheide daher aus.
 
Mit der Entscheidung ist die bisherige Berliner Vorkaufsrechtspraxis in einem zentralen Punkt für rechtswidrig erklärt worden. Die Richter haben nunmehr klargestellt, dass weitreichende Vorkaufsrechtsausübungen in Milieuschutzgebieten unter Verweis auf bloße (vermeintliche) Absichten der Erwerber unzulässig sind. Die Berliner Bezirke werden deshalb zukünftig deutlich zurückhaltender bei der Ausübung von Vorkaufsrechten vorgehen müssen. Für Fälle aus der Vergangenheit, in denen Vorkaufsrechte ausgeübt oder Abwendungsvereinbarungen abgeschlossen wurden, sollten die betroffenen Eigentümer im Einzelfall prüfen, ob nun aufgrund des Urteils neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet sind. Dies gilt jedenfalls für diejenigen Fälle, in denen die Bescheide über die Vorkaufsrechtsausübung noch nicht bestandskräftig sind. Darüber hinaus wird zu klären sein, ob unter Androhung einer Vorkaufsrechtsausübung abgeschlossene Abwendungsvereinbarungen angefochten werden können und wie mit Kosten umzugehen ist, die bei der Ausübung von Vorkaufsrechten angefallen sind.