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Entgeltgleichheit – Rechtfertigt Verhandlungsgeschick ein höheres Gehalt?

Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Az. 8 AZR 450/21) hat der Frage der Entgeltgleichheit große Aufmerksamkeit verschafft. In dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Fall hatte ein Unternehmen einem männlichen Bewerber und einer weiblichen Bewerberin das gleiche Gehalt für eine gleiche Position angeboten. Der männliche Bewerber forderte allerdings ein höheres Grundgehalt, welches die Arbeitgeberin akzeptierte. Die kurz danach eingestellte weibliche Bewerberin verlangte kein höheres Grundgehalt, forderte allerdings 20 Tage zusätzlichen unbezahlten Urlaub, den sie erhielt. Sie bekam zudem einen besseren Provisionsplan als der männlicher Bewerber. 

Dennoch gestand ihr das Bundesarbeitsgericht das gleiche Grundgehalt zu, das ihr männlicher Kollege bekam. Das Gericht stützte sich dabei auf europäisches Recht (Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) sowie auf § 3 Abs. 1 und § 7 des Entgelttransparenzgesetzes. Außerdem sprach es eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu. 

Die Entscheidung ist aus mehreren Gründen interessant: 
  1. Das Gericht stellte fest, dass jeder Gehaltsbestandteil einzeln verglichen werden muss. Andere Entgeltbestandteile können nicht in den Vergleich einbezogen werden, eine Gesamtbewertung findet nicht statt. Die Tatsache, dass die Kollegin ein niedrigeres Grundgehalt erhielt als ihr männlicher Kollege, für sie aber ein günstigerer Provisionsplan galt, war daher irrelevant. Das Gleiche gilt für ihren Anspruch auf unbezahlten Urlaub. 
  2. Das Gericht hat zudem klargestellt, welche Rechtfertigungsgründe es für unterschiedliche Vergütung von weiblichen und männlichen Beschäftigten akzeptiert:
 
Verhandlungsgeschick:
  • Die Vertragsfreiheit kann im Allgemeinen keine Vergütungsunterschiede rechtfertigen. 
  • Unerheblich war daher, dass das Unternehmen beiden Personen dasselbe Gehalt angeboten hatte und der Bewerber dann eine Gehaltserhöhung ausgehandelt hat. 
  • Dies könnte allerdings anders sein, wenn die Bewerberin Kenntnis von der Vergütung des männlichen Kollegen gehabt und dennoch andere Bedingungen bevorzugt hätte. 
 
Arbeitsmarkt:
  • Wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass aufgrund der Lage auf dem Arbeitsmarkt ein höheres Gehalt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen, kann eine Entgeltdifferenz gerechtfertigt sein.
  • Dazu muss dargelegt werden, dass keine gleichwertig qualifizierten Bewerberinnen oder Bewerber bereit waren, die Stelle zu einem geringeren Gehalt anzunehmen. 
 
Qualifikationen:
  • Unterschiedliche Qualifikationen oder eine längere Berufserfahrung können eine unterschiedliche Vergütung rechtfertigen, sofern sie für die konkrete Stelle relevant sind. 
 
Leistung:
  • Leistungsunterschiede können unterschiedliche Gehaltserhöhungen rechtfertigen. 
  • Sie können jedoch keine unterschiedlichen Gehälter zu Beginn des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, da sie sich erst während des Arbeitsverhältnisses herausstellen. 
 
Angesichts dieses Urteils sollten Unternehmen folgende Maßnahmen erwägen:
  • Einführung eines transparenten, auf objektiven Kriterien basierenden Gehaltssystems, das gewährleistet, dass gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich vergütet wird. Dabei sind Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten zu berücksichtigen. 
  • Wenn das Gehaltssystem Gehaltsbänder umfasst, ist eine Dokumentation der Entscheidung über die Einstufung von Personen innerhalb der Gehaltsbänder wichtig. Die Entscheidung sollte auf der Grundlage von Qualifikationen, einschlägiger Berufserfahrung und Leistung getroffen werden. 
  • Ein höheres Gehalt innerhalb der Gehaltsbänder oder sogar darüber hinaus kann durch die Arbeitsmarktsituation gerechtfertigt sein. In diesem Fall muss nachweisbar sein, dass keine andere ebenso geeignete Person bereit war, die Stelle für ein geringeres Gehalt anzunehmen. 
  • Wenn Kandidaten oder Kandidatinnen individuelle Leistungen verlangen, sollte Transparenz über das Gehaltssystem gegeben werden und dokumentiert werden, wenn die Personen für ihre Durchsetzung ihrer individuellen Wünsche bereit sind, eine niedrigere Vergütung zu akzeptieren.
Der Fokus der vom BAG herangezogenen Anspruchsgrundlagen liegt auf der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. Wären zwei Personen desselben Geschlechts betroffen, wäre die Begründung des Gerichts schwieriger gewesen. Der Grundsatz der allgemeinen Gleichbehandlung gilt allerdings unabhängig vom Geschlecht. Dieser könnte ähnliche Ergebnisse rechtfertigen, auch wenn das Geschlecht keine Rolle spielt. 
 
Letztlich unterstreicht die BAG-Entscheidung die Notwendigkeit einer klaren Vergütungsstrategie für Unternehmen. Eine solche gibt es nicht in allen Unternehmen. Die Festlegung der Wertigkeit von Positionen und die Bestimmung einer angemessenen Vergütung ist ein komplexer Prozess.

Angesichts der gerade verabschiedeten europäischen Richtlinie zur Lohntransparenz, die in drei Jahren in Kraft treten soll, ist jetzt ein guter Zeitpunkt für Unternehmen, diesen Prozess einzuleiten.