Die EU- Barrierefreiheitsrichtlinie (European Accessibility Act, auch: EEA) schafft einen umfassenden Rechtsrahmen für eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen: Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen und funktionellen Einschränkungen barrierefrei zugänglich sind – sowohl im physischen als auch im digitalen Umfeld. Während die Barrierefreiheitsanforderungen für Dienstleistungen nur gelten, wenn diese Verbrauchern in der EU bereitgestellt werden, sind die Anforderungen an Produkte nicht auf die Nutzung durch Verbraucher beschränkt. Ziel des EAA ist es, die Barrierefreiheitsstandards in der EU zu harmonisieren, Fragmentierungen des Binnenmarkts zu verringern und die Inklusion zu fördern.
Der EEA musste bis zum 28. Juni 2025 von allen 27 EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Seither gelten in der gesamten EU weitgehend harmonisierte Barrierefreiheitsvorschriften. Für viele Unternehmen, die im EU-Binnenmarkt tätig sind, bedeutet dies nicht nur die Pflicht zur Einhaltung neuer gesetzlicher Vorgaben, sondern auch ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf die Berücksichtigung von Barrierefreiheit – etwa im Produktdesign, bei der Erbringung von Dienstleistungen und im Kundenerlebnis.
Anwendungsbereich: Welche Produkte und Dienstleistungen sind erfasst?
Die Barrierefreiheitsanforderungen des EEA gelten für eine festgelegte Liste von Produkten und Dienstleistungen, die für die Teilnahme am täglichen Leben und am Binnenmarkt als wesentlich angesehen werden. Erfasst sind sowohl physische Güter als auch (digitale) Dienstleistungen – mit einem klaren Schwerpunkt auf verbraucherorientierte Angebote. Für Unternehmen in Branchen wie Technologie, E-Commerce, Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Mobilität ist der Anwendungsbereich des EAA breit und von erheblicher wirtschaftlicher Relevanz.
Die erfassten Produkte reichen von Smartphones, Computern und E-Readern bis hin zu Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten, Ticketautomaten und Check-in-Automaten.
Auf der Dienstleistungsseite erfasst der EAA etwa E-Commerce-Plattformen, Bank- und Finanzdienstleistungen, Telekommunikationsdienste, verkehrsbezogene Dienstleistungen (z. B. Fahrkartenverkauf und Reiseinformationen in Echtzeit) sowie audiovisuelle Mediendienste.
Barrierefreiheitsanforderungen
Der EAA schreibt vor, dass von ihm erfasste Produkte und Dienstleistungen von Grund auf barrierefrei sein müssen. Die konkreten Anforderungen variieren je nach Produkt- oder Dienstleistungskategorie. Der EAA benennt jedoch mehrere zentrale Anforderungen:
- Wahrnehmbarkeit: Informationen müssen so bereitgestellt werden, dass sie für NutzerInnen mit unterschiedlichen sensorischen Fähigkeiten wahrnehmbar sind. Dazu gehört die Bereitstellung von Alternativen zu visuellen und auditiven Inhalten (z. B. Textalternativen für Bilder, Untertitel für Videos, Audiobeschreibungen).
- Bedienbarkeit: Produkte und Dienstleistungen müssen über verschiedene Eingabemethoden nutzbar sein, einschließlich assistiver Technologien. Schnittstellen dürfen keine Aktionen erfordern, die Menschen mit Behinderungen nicht ausführen können (z. B. bestimmte Gesten oder zeitlich begrenzte Reaktionen).
- Verständlichkeit: Informationen und Benutzeroberflächen müssen klar und leicht verständlich sein. Dazu zählen eine konsistente Navigation, gut lesbarer Text und die Vermeidung von übermäßig komplexer Sprache oder Anweisungen.
- Robustheit: Digitale Inhalte müssen mit einer Vielzahl aktueller und zukünftiger assistiver Technologien kompatibel sein und anerkannten Standards wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) entsprechen.
- Informationen und Anleitungen: Alle Anleitungen, Nutzerunterstützungen und Produktinformationen müssen barrierefrei zugänglich sein – einschließlich Handbücher, Verpackungen und digitale Hilfsangebote.
- Barrierefreiheit des Kundendienstes: Unterstützungsdienste, wie etwa Hotlines und Chatbots, müssen für NutzerInnen mit Behinderungen zugänglich sein.
- Interoperabilität mit assistiven Technologien: Produkte und Dienstleistungen müssen so konzipiert sein, dass sie nahtlos mit Hilfsmitteln wie Screenreadern, Braille-Displays oder alternativen Eingabegeräten zusammenarbeiten.
- Kleinstunternehmen: Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einen Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme von höchstens 2 Millionen Euro sind von den Anforderungen des EAA ausgenommen.
- Grundlegende Änderungen: Barrierefreiheitsanforderungen sind nicht verpflichtend, wenn ihre Umsetzung die wesentliche Beschaffenheit oder die Kernfunktionalität eines Produkts oder einer Dienstleistung grundlegend verändern würden.
- Unverhältnismäßige Belastung: Ebenso gelten Barrierefreiheitsanforderungen nicht, wenn sie zu einer unverhältnismäßigen Belastung des betroffenen Unternehmens führen würden.
- Identifikation der betroffene Produkte und Dienstleistungen: Ermitteln Sie, welche Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich der Rechtsvorschriften fallen.
- Durchführen einer Gap-Analyse: Vergleichen Sie den aktuellen Stand der Barrierefreiheit mit den gesetzlichen Anforderungen.
- Umsetzungsplan entwickeln: Priorisieren Sie notwendige technische und organisatorische Anpassungen.
- Ausnahmen dokumentieren: Wenn Sie sich auf Ausnahmen berufen (z. B. grundlegende Änderungen oder unverhältnismäßige Belastungen), sollten Sie diese sorgfältig begründen und dokumentieren.
- Mitarbeiterschulungen durchführen: Sensibilisieren Sie die Teams aus den Bereichen Produktentwicklung, Recht und Kundenservice.
- Compliance überwachen: Etablieren Sie interne Kontrollmechanismen und passen Sie die Prozesse laufend den sich ändernden gesetzlichen Standards an.
Ausnahmen: Kleinstunternehmen, grundlegende Veränderungen, unverhältnismäßige Belastung
Der EAA sieht unter bestimmten Voraussetzungen spezifische Ausnahmen vor:
Folgen bei Nichteinhaltung
Die Nichteinhaltung nationaler Umsetzungsgesetze kann schwerwiegende rechtliche und wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Da die Durchsetzung im Rahmen der jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften erfolgt, variieren die konkreten Folgen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. In Deutschland können Behörden Bußgelder von bis zu 100.000 Euro verhängen (§ 37 BFSG) und Maßnahmen wie Produktrückrufe (§ 22 BFSG) oder den Marktentzug nicht konformer Dienstleistungen (§ 29 BFSG) anordnen. Daneben können Wettbewerber im Wege der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung gegen Verstöße vorgehen
Nächste Schritte für Unternehmen
Da der Rechtsrahmen des EAA nun in Kraft ist, sollten Unternehmen zügig handeln, um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen. Zu den wichtigsten Schritten gehören: