Am 28. Mai 2022 treten Änderungen in unterschiedlichen Gesetzen in Kraft, die zu Neuerungen bei den Verbraucher-Informationspflichten, bei der Durchführung von Rabattaktionen und bei der Gestaltung von Onlinemarktplätzen und Preisvergleichen führen. Ganz neu: Bei Nichteinhaltung drohen teilweise empfindliche Ordnungsstrafen.
1. HINTERGRUND
Der von der Europäischen Kommission 2018 ausgerufene "New Deal for Consumers“ schreitet voran. Mit der sogenannten "Omnibusrichtlinie" (EU) 2019/2161 wurde der europäische Rechtsrahmen für zahlreiche Änderungen in den nationalen Rechtsordnungen auf den Weg gebracht, deren Schwerpunkt die Stärkung von Verbraucherrechten ist.
Die Omnibusrichtlinie (manchmal auch Modernisierungsrichtlinie genannt), die gleich vier Richtlinien auf einmal verändert, wurde zwar schon im November 2019 verabschiedet, verpflichtend angewendet werden muss sie allerdings europaweit erst ab dem 28. Mai 2022. In Deutschland ist sie Gegenstand verschiedener Umsetzungsakte mit einzelnen Themenschwerpunkten und führt zu Änderungen des BGB, EGBGB und UWG sowie der Preisangabenverordnung (PAngV).
Während hierzulande die seit Jahresbeginn geltenden Änderungen des Kauf- und Vertragsrechts für digitale Produkte hohe Wellen geschlagen haben, sind die durch die Omnibus-Richtlinie bevorstehenden Änderungen häufig weniger bekannt. Zu Unrecht – denn die deutsche Umsetzung der Omnibusrichtlinie enthält nicht nur bedeutende Änderungen unter anderem für den E-Commerce Sektor, sondern etabliert erstmalig einen behördlichen Sanktionsmechanismus für die "Verletzung von Verbraucherinteressen" durch Einführung hoher Bußgelder. Diese betreffen auch eine Vielzahl bislang nicht sanktionierter Verhaltensweisen.
2. DIE WICHTIGSTEN ÄNDERUNGEN MIT RELEVANZ FÜR DEN ONLINE-HANDEL
2.1 Bußgelder für Verletzungen von Verbraucherinteressen
Die Omnibusrichtlinie führt gleich in doppelter Hinsicht zu Verschärfungen bei der Sanktionierung von Verbraucherrechtsverletzungen: Einerseits durch die völlig neue Einführung massiver Bußgelder für bestimmte Verstöße, andererseits durch die Ergänzung des Wettbewerbsrechts um einen Schadensersatzanspruch von Verbrauchern.
In Zukunft werden deshalb eine Vielzahl von Verhaltensweisen mit Bußgeldern belegt, beispielsweise
- die Verwendung von gemäß § 309 BGB unzulässigen Klauseln in AGB gegenüber Verbrauchern;
- die fehlende oder nicht rechtzeitige Rückzahlung des Kaufpreises nach einem Verbraucherwiderruf oder Verbraucherrücktritt;
- Verstöße gegen Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, z.B.
- die fehlende oder unvollständige Information von Verbrauchern gemäß Art. 246 EGBGB, die fehlende oder unvollständige qualifizierte Information gemäß Art. 246a EGBGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie Verstöße gegen die nachfolgend dargestellten Pflichten für Betreiber von Online-Marktplätzen gemäß Art. 246d EGBGB;
- das Fehlen der bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen verpflichtenden Vertragsbestätigung;
- die Gestaltung des Bestellprozesses in einer nicht den Anforderungen des § 312j BGB entsprechenden Weise, also etwa das Fehlen rechtmäßiger Bestellzusammenfassungen oder die ungenügende Beschriftung des "Bestellbuttons";
- das Ausbleiben der etwaigen Widerrufsbestätigung bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen;
- das Fordern von Versandkosten oder Rücksendekosten von Verbrauchern, ohne dass diese gemäß Art. 246a EGBGB informiert wurden oder das Stellen von Forderungen an Verbraucher im Zusammenhang mit der Zusendung unbestellter Waren;
- die gegenüber § 475 BGB verspätete Lieferung von Kaufgegenständen an Verbraucher (also nach mehr als 30 Tagen);
- Verstöße gegen die neuen, nachfolgend dargestellten Pflichten aus dem neuen § 19a UWG im Zusammenhang mit Kundenbewertungen sowie eine Vielzahl bekannter Wettbewerbsverstöße, z.B. irreführende geschäftliche Handlungen.
Ein Bußgeld droht nach der Neuregelung aber nur dann, wenn es sich bei der (vorsätzlichen oder fahrlässigen) "Verletzung von Verbraucherinteressen" um einen "weit verbreiteten Verstoß" (bzw. einen "weit verbreiteten Verstoß mit Unions-Dimension") im Sinne der "CPC-Verordnung" EU 2017/2394 handelt. Das ist immer dann der Fall, wenn hierdurch Verbraucherinteressen aus mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten betroffen sind, in denen das jeweilige Unternehmen nicht niedergelassen ist, oder der Verstoß sonst in mindestens drei Mitgliedsstaaten in vergleichbarer Weise stattfindet. Rein nationale (deutsche) Verstöße genügen für die Bußgeldandrohung also nicht. Auch bedarf es zur Durchsetzung des Bußgeldes in jedem Fall einer sogenannten „koordinierten Durchsetzungsmaßnahme“ (im Sinne der CPC-Verordnung) zwischen den zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedsstaaten.
Die Bußgeldhöhe kann zunächst maximal 50.000 Euro betragen. Für Unternehmer, deren Jahresumsatz in einem betroffenen Mitgliedsstaat 1,25 Millionen Euro überschreitet, sind allerdings Strafen bis zu 4% des Jahresumsatzes möglich, was insofern dasselbe erhebliche Compliance Risiko wie unter der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bedeutet.
Der deutsche Gesetzgeber hat zwar die Spielräume der Richtlinie weitgehend ausgeschöpft, um die im deutschen Recht einigermaßen systemwidrigen Bußgelder für AGB-Rechtsverstöße möglichst selten anfallen zu lassen. Trotzdem bleibt der Anwendungsbereich erheblich, insbesondere für E-Commerce-Sites, die Produkte in mehreren EU-Mitgliedstaaten anbieten.
Nimmt ein Unternehmer eine nach § 3 UWG unzulässige Handlung vor, besteht außerdem zukünftig ein Schadensersatzanspruch nicht nur von Mitbewerbern, sondern auch der Verbraucher selbst, wenn die Handlung sie zu einer geschäftlichen Handlung veranlasst hat, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.
2.2 Transparenzpflichten für Onlinemarktplätze
Betreiber von Onlinemarktplätzen unterliegen zukünftig eigenen Informationspflichten, also unabhängig von denen der Händler. Die Neuregelungen verpflichten Marktplatzbetreiber unter anderem dazu, bei der Nutzung von Rankingsystemen für die angebotenen Produkte die zugrunde gelegten Hauptparameter und deren relative Gewichtung zueinander offenzulegen.
Darüber hinaus müssen Marktplatzbetreiber angeben, ob die Händler der angebotenen Produkte Unternehmer oder Privatleute sind und in letzterem Fall gesondert darauf hinweisen, dass bestimmte Verbrauchervorschriften keine Anwendung finden.
Als Onlinemarktplatz gelten dabei neben Websites auch sonstige Softwareoberflächen über die Verbraucher Fernabsatzverträge abschließen können – auch wenn der eigentliche Vertragsschluss mit einem anderen Unternehmen erfolgt.
2.3 Preisangaben bei Rabattaktionen
Zur Vermeidung sogenannter „Preisschaukelei“ müssen Unternehmer Verbrauchern gegenüber zukünftig bei Gewährung von Rabatten den eigenen Tiefstpreis für die jeweilige Ware oder Leistung innerhalb der letzten 30 Tage vor Anwendung des Rabatts angeben. Wurde die Ware vor der Ermäßigung kürzer als 30 Tage angeboten, ist der kürzere Zeitraum maßgeblich.
Von dieser neuen Pflicht gibt es allein für leicht verderbliche Waren eine Ausnahme, wenn diese ausschließlich wegen des drohenden Haltbarkeitsablaufs reduziert werden.
2.4 Erweiterung der Informationspflichten des EGBGB
Die bisherige Pflicht von Unternehmern, Verbraucher über ihre Identität zu informieren, wird zukünftig erweitert um die Pflicht, Telefonnummer und E-Mail-Adresse zu nennen. Zudem muss die Identität und Anschrift des Unternehmers, in dessen Auftrag gehandelt wird, angegeben werden, wenn für Dritte gehandelt wird. Die Angabe der Faxnummer dagegen ist in Zukunft nicht mehr notwendig.
Außerdem müssen Verbraucher ab Mai über sog. „Profiling“, also personalisierte Preise auf Grundlage einer automatisierten Entscheidungsfindung, informiert werden. Hierzu soll es nicht genügen, einen allgemeinen Hinweis in die AGB aufzunehmen. Stattdessen muss eine klare, verständliche Information vor Abschluss des konkreten Vertrags mit dem spezifischen Verbraucher erfolgen. Nicht erfasst von dieser Regelung sind Techniken der dynamischen Preisfindung oder der Preissetzung in Echtzeit, bei der statt einer personalisierten automatischen Entscheidungsfindung der Preis flexibel und in Echtzeit auf die allgemeine Marktnachfrage reagiert.
Auch für die bereits zum Jahresanfang neu eingeführten Kategorien der digitalen Produkte und der Waren mit digitalen Elementen (die zukünftig "Sachen mit digitalen Elementen" heißen) gelten zukünftig angepasste Informationspflichten: Unternehmer müssen in diesem Bereich ab Mai Angaben zur Funktionalität sowie – jeweils soweit wesentlich – zu Kompatibilität und Interoperabilität machen. Auch der verpflichtende Hinweis auf das Bestehen von Mängelgewährleistungsrechten wird auf die neuen digitalen Kategorien erweitert.
2.5 Angaben zu Kundenbewertungen; Wettbewerbsrecht
Angesichts der zunehmend auf Bewertungen anderer Kunden beruhenden Entscheidungsfindung von Verbrauchern im Online-Handel erweitert die Omnibus-Richtlinie die Informationspflichten von Unternehmen auch in diesem Bereich. Nach den Neuregelungen im UWG müssen Verbraucher zukünftig darüber informiert werden, ob und wie Unternehmer sicherstellen, dass von ihnen veröffentlichte Bewertungen tatsächlich von anderen Verbrauchern stammen, die das entsprechende Produkt erworben oder genutzt haben. Unternehmer dürfen zukünftig nicht mehr angeben, eine Bewertung stamme von einem Verbraucher, wenn das nicht zuvor mittels „angemessener und verhältnismäßiger Maßnahmen“ überprüft wurde. Erst recht sind gefälschte Verbraucherbewertungen oder deren Beauftragung nun ausdrücklich wettbewerbswidrig – was allerdings auch vorher schon über den allgemeinen Tatbestand der Wettbewerbswidrigkeit galt. Ein Verstoß gegen diese Vorgaben im Zusammenhang mit Bewertungen ist zukünftig nicht nur ein wettbewerbswidriges Unterlassen durch Vorenthalten wesentlicher Informationen, sondern unter Umständen bußgeldbewehrt (siehe oben).
2.6 Widerrufsrecht
Während der Versand einer Widerrufserklärung nicht mehr per Fax möglich sein wird, gehört die Telefonnummer neben Namen, Anschrift und E-Mail Adresse zukünftig zur Pflichtangabe des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung. Die Relevanz der Änderung ist nicht zu unterschätzen, denn entspricht die Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Vorgaben, droht ein einjähriges Widerrufsrecht.
Auch bringt die Omnibus-Richtlinie Änderungen für das Widerrufsrecht bei Produkten, die dem Kunden als Download zur Verfügung gestellt werden: Bei Verträgen über Dienstleistungen ohne Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers, d.h. Verträge, bei denen der Verbraucher dem Unternehmer als Gegenleistung Daten zur Verfügung stellt, erlischt das Widerrufsrecht zukünftig, wenn der Unternehmer die Leistung vollständig erbracht hat. Ebenso erlischt es bei Verträgen über digitale Inhalte, die nicht auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt werden und den Verbraucher nicht zur Zahlung eines Preises verpflichten, wenn der Unternehmer mit der Vertragserfüllung begonnen hat. Besteht bei diesen Produkten eine Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers, erlischt das Widerrufsrecht dagegen erst nach entsprechender Aufklärung und Zustimmung des Verbrauchers vorzeitig, wenn der Download vor Ablauf der zweiwöchigen Widerrufsfrist erfolgt.
3. WAS ZU TUN IST
Alle Unternehmen, die Geschäfte mit Verbrauchern betreiben, sollten die Änderungen durch die Omnibus-Richtlinie genau prüfen und eigene Standarddokumente und Geschäftsabläufe entsprechend modifizieren. Insbesondere die Anpassung der Standard-Widerrufsbelehrung ist für alle Unternehmen ein Muss.
Das ist besonders wichtig, wenn die Geschäftstätigkeit nicht auf einen einzelnen Mitgliedsstaat beschränkt ist, denn dann drohen bei Nicht-Erfüllung von AGB-Vorgaben oder der vielfältigen neuen Informationspflichten empfindliche Bußgelder. Zu beachten ist dabei auch, dass die Anpassungen in allen relevanten Sprachversionen umgesetzt werden müssen, wenn Geschäfte in mehreren Mitgliedsstaaten erfolgen.
4. AUSBLICK
Schon mit der Omnibus-Richtlinie und ihrer Umsetzung ins deutsche Recht ist klar geworden: Die Compliance im E-Commerce ist für Unternehmer noch wichtiger als zuvor. Das wird sich in Zukunft auch noch weiter verstärken: Als zweites Element des "New Deal for Consumers" wurde bereits die Verbandsklagerichtlinie (EU) 2020/1828 verabschiedet. Diese muss bis zum Jahresende 2022 umgesetzt und ab 25. Juni 2023 angewendet werden.
Mit der darin vorgesehenen Klagebefugnis für qualifizierte Einrichtungen zur Durchsetzung von Verbraucherrechten (also insb. zugelassene Verbraucherschutzorganisationen) wird das praktische Erfordernis zur Einhaltung des E-Commerce-Rechts noch einmal steigen – insbesondere, da Entscheidungen aus Verbandsklageverfahren gemäß Art. 15 der Richtlinie von allen betroffenen Verbrauchern des Mitgliedsstaats als "Beweismittel" in eigenen Prozessen gegen die Unternehmer genutzt werden dürfen.